CHEFINFO 07_2024 September
463 Millionen Euro werden aktuell in Schulbauten im Pflichtschulbereich in Oberösterreich investiert.
Haberlander: Es gibt Schulen in Ober österreich mit nahezu 100 Prozent an Schülerinnen und Schülern mit nicht deutscher Muttersprache. Das Wichtigste ist das Lernen der deutschen Sprache, damit ich an dieser Gesellschaft teilha ben kann. „Die Grenzen meiner Sprache sind die Grenzen meiner Welt“, trifft es ein Zitat auf den Punkt. Wenn daheim nicht zweisprachig gesprochen wird, ist das ein Problem. Es braucht Verbind lichkeit, dass Eltern an den Integrati onsthemen ihrer Kinder auch teilhaben. Und wo das nicht möglich ist, braucht es spezielle Förderung. Aber wir müs sen auch sehen, dass die Mehrsprachig keit der Kinder ein großer Schatz ist. Wir benötigen diese Menschen überall – etwa als Pflegerinnen, Ärztinnen oder Kindergärtnerinnen. Wir müssen aufpas sen, mit welcher Wertung wir dem The ma Mehrsprachigkeit entgegentreten. Gefordert wird von einem politi schen Mitbewerber ein verpflichten des Unterrichtsfach „Leben in der Demokratie“. Eine sinnvolle Idee? Haberlander: Ohne die Forderung im Detail zu kennen oder zu unterstützen: Die Themen Demokratie und Meinungs bildung halte ich für sehr wichtig. Wie jungen Menschen die Notwendigkeit des Mitentscheidens vermittelt werden kann, müssen wir uns genau ansehen. Wer wählt, sollte sich auch kritisch mit Wahlprogrammen und populistischen Forderungen auseinandersetzen können. Auch der Wunsch, selbst die Zukunft zu gestalten und politische Verantwortung zu übernehmen, soll geweckt werden. Das sind Dinge, bei denen die Basis auch in der Schule gelegt wird.
168 Stunden, nur 20 bis 24 davon sitzen die Kinder im Klassenzimmer. Die Schule kann nicht alle Probleme lösen. Sie haben die Krabbelstuben erwähnt. Oberösterreich liegt hier im Bundes ländervergleich zurück. Am 1. Sep tember startete die Gratis-Krabbel stube bis 13 Uhr in Oberösterreich. Was erwarten Sie sich von dieser Maß nahme? Haberlander: Ich leugne nicht, dass wir großen Aufholbedarf haben. Des halb haben wir das Ziel ausgegeben, dass Oberösterreich Kinderland Nummer eins werden soll. Allein im Vorjahr haben wir gemeinsam mit den Gemeinden 69 neue Krabbelstuben geschaffen – und damals waren sie noch nicht gratis. Das war der größte Ausbau an Krabbelstuben bisher. Wir sind ein verlässlicher Baupartner auch in wirtschaftlich schwierigen Zei ten. Im Kinderbildungs- und Betreuungs bereich, aber auch im schulischen Bereich wird immer gebaut. Wir haben vorgege ben, dass die Krabbelstuben 47 Wochen im Jahr offen sein müssen. Eine so lange gesetzlich verpflichtete Öffnungszeit hat es noch nie gegeben. Es gibt auch einen Rechtsanspruch auf Nachmittagsbetreu ung. Damit haben die Eltern auch Pla nungssicherheit. Dieser Ausbau erhöht auch die Attraktivität von Gemeinden am Land und fördert die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das ist mir als Frauen landesrätin wichtig, dass es Frauen wieder ermöglicht wird, früher und umfassen der, wenn sie das wollen, ins Berufsleben zurückzukehren, damit sie nicht irgend wann Opfer von Altersarmut werden. 30 Stunden kostenfreie Kinderbetreuung ist daher ein wichtiger Schritt. n
Ist die Schule ein Grund, warum Sie in der Politik sind? Haberlander: Ich habe sehr positive Vor bilder erlebt und war selbst immer wie der Klassensprecherin. Das Feuer, mich politisch zu engagieren, ist in der Schule unterstützt worden. Eine meiner ers ten Aktionen war der Einsatz für einen Beachvolleyballplatz in der Gemeinde. Ex-ÖVP-Politiker Andreas Salcher fordert einen Regierungsbeauftrag ten für die Modernisierung des Bil dungssystems, um das Thema zu einer Top-Priorität zu machen. Stim men Sie dem zu? Haberlander: Ich schätze Andreas Salcher sehr, aber der Regierungsbeauf tragte für Bildung ist der Bildungsminis ter. Der muss die Vision und den Mut haben, diese Themen aufzugreifen und umzusetzen. Jede Regierung ist gut bera ten, Bildung als Top-Thema zu positionie ren. Schließlich geht es um die Zukunft unseres Landes, unserer Gesellschaft. Ist ein Smartphone-Verbot an Schu len, wie es manche fordern, sinnvoll? Haberlander: Ich bin einem Ver bot nicht abgeneigt, aber wir haben als Land rechtlich nicht die Kompetenz, das Smartphone zu verbieten. Das kann die Schule über die Hausordnung regeln. Hier braucht es kompetente Direktorin nen und Direktoren. Aber die Frage ist auch: Wo lernen Kinder einen kompeten ten Umgang mit dem Handy? Das muss im Elternhaus passieren. Eine Woche hat
„Das System Schule neu denken“
POLITIK. Bildungslandesrätin Christine Haberlander über Kulturpessimismus, Chancen für ein gelingendes Leben und Gratis-Krabbelstuben.
INTERVIEW: Klaus Schobesberger
C HEFINFO: Bildung beginnt im Kleinkindalter und reicht weit in das Berufsleben hin ein. In welchen Bereichen sehen Sie den größten Handlungsbedarf? Christine Haberlander: Wir feiern heuer 250 Jahre allgemeine Schulpflicht, und es ist höchst an der Zeit, dass wir das System Schule neu denken. Dabei geht es nicht nur um die Aufgaben der Schule oder um die Kompetenzen, die sich junge Menschen aneignen sollen. Auch Persönlichkeitsbil dung ist entscheidend, damit die Chancen auf ein gelingendes Leben steigen. Gerade junge Mädchen brauchen ein Rüstzeug, bekannt auch als Empowerment, um ihren eigenen Weg zu gehen. Ein stärkerer Fokus auf MINT-Fächer ist immer Thema, aber Neugierde und Kritikfähigkeit gehören ebenso gefördert, wie die Kunst, mit Rück
Haberlander: Diesen Eindruck ge- winne ich auch manchmal, wenn ich mit Eltern rede. Aber ich sehe das ganz anders. Zu meinen Aufgaben zählt, regelmäßig das Gespräch mit Schüle rinnen und Schülern zu suchen. Ich bin jedes Mal begeistert von diesen empa thischen, kompetenten jungen Men schen. Sie als verlorene Generation zu bezeichnen, lehne ich ab. Noch nie hat ten Jugendliche so viele Chancen wie heute, noch nie standen ihnen so viele Türen offen. Auf der anderen Seite wird der stei gende Anteil von Schülern mit nicht deutscher Alltagssprache zur Belas tung. In Wien beträgt er an Pflicht schulen 70 Prozent. In Oberöster reich sind es 30 Prozent.
schlägen umgehen zu lernen. Gleichzeitig braucht es mehr Bewusstsein, dass Bildung bereits in der Krabbelstube, im Kindergar ten beginnt. Hier werden auf spielerische Weise früh Talente identifiziert und das Selbstbewusstsein gestärkt. Bei Bildungsdiskussionen schwingt meist ein gewisser Kulturpessimismus mit. Motto: Früher war alles besser.
Eine Woche hat 168 Stunden, nur 20 oder 24 davon sitzen die Kinder im Klassenzimmer. Die Schule kann nicht alle Probleme lösen.
„Jede Regierung ist gut beraten, Bil dung als Top-Thema zu positionieren“, sagt Bildungslandesrätin Christine Haberlander im Gespräch mit Chef redakteur Klaus Schobesberger.
Christine Haberlander Bildungslandesrätin
FOTOS: HERMANN WAKOLBINGER
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