CHEFINFO 07_2024 September

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INTERVIEW. Andreas Salcher ist Bestseller autor und Visionär, wenn es ums Thema Bildung geht. Was braucht es aus seiner Sicht, um das Bildungssystem in Österreich wieder an die Spitze zu bringen? „Wir benötigen einen Grund konsens“

Sie leitet den Businesszweig des BG WRG Körnerstraße, ist leidenschaft liche Lehrerin und für die Linzer VP im Gemeinderat für Bildung, Frauen und Familien tätig. „Schule war noch nie nur ein Ort von Wissensvermitt lung, sondern dient seit jeher auch der sozialen und persönlichen Entwick lung.“ Sie sieht überbordende Schul bürokratie als eines der Hemmnisse im Schulbetrieb. „In manchen Klas sen kommt man kaum zu Stoff, viel weniger noch zu fächerübergreifen den Projekten.“ Dazu fokussiere man sich „im hektischen Schulalltag viel zu sehr auf die Schwächen der Kinder, anstatt lebensnahe Inhalte zu vermit teln.“ Lebensnahe Inhalte wie das von ihr geforderte Schulfach „Finanz Ô

Laufe der Jahre wurde das Curricu lum erweitert, Schulzweige etablierten sich. Das System wurde an den Zeit

demisch aus. Die Gruppengrößen sind vier im Kleinkinderbereich bis acht für größere Kinder. In Österreich bekom men Elementarpädagogen keine akade mische Ausbildung und wissen daher wenig über neue frühkindliche wissen schaftliche Erkenntnisse. Die Gruppen größen liegen bei uns bei 20 pro ausge bildeter Elementarpädagogin und einer Hilfskraft.“ Salcher sieht darin Start nachteile, die durch „unser veraltetes Schulsystem nicht kompensiert“ wer den. Die Zahlen sind alarmierend: Jeder fünfte 15-Jährige kann nach neun Jahren Pflichtschule nicht sinnerfassend lesen und scheitert an einfachsten mathema tischen Aufgaben. „Hier werden sys tematisch Lebenschancen vernichtet, und wirtschaftlich ist das eine nationale Katastrophe, die immer deutlicher beim Fachkräftemangel erkennbar wird.“ Integrative Schulsysteme Die Ausrede, dass unser Bildungssys tem durch hohen Migrationsanteil in den Schulen auf die Probe gestellt werde, lässt der Experte nicht gelten. „In Kanada liegen die Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund im englischsprachigen Teil weit über dem Durchschnitt der OECD-Länder. Entscheidend dafür ist die an klaren Kriterien orientierte Einwanderungs politik, aber sicher ebenso das integra tive Schulsystem Kanadas mit seinen leistungsorientierten Gesamtschulen und Ganztagsstrukturen. Mit konse quenten Strategien wurde eine lern seitige Kultur in den Schulen etab liert.“ Salcher sieht die Lösungen am Tisch liegen. Sein Optimismus spiegelt sich im Titel seines neuesten Buches wider: „Unsere neue beste Freundin, die Zukunft.“ Mehr Praxisnähe Zu Maria Theresias Zeiten bestan den die Schulfächer im Wesentlichen in Lesen, Rechnen und Religion. Im

Wir müssen anfangen, starre Systeme durch lernende, lebendige Systeme zu ersetzen.

Andreas Salcher Bestsellerautor und Bildungsexperte

geist und die Bedürfnisse der Wirt schaft angepasst. 250 Jahren nach Einführung der Schulpflicht will eben falls eine Theresa – Theresa Ganhör – den Lehrplan lebensnäher machen.

C HEFINFO: Die von Ihnen mitgegründete Sir Karl Popper Schule geht seit 25 Jahren neue Wege. Was unter scheidet sie von anderen Schulen? Andreas Salcher: Das Wichtigste, das die Sir Karl Popper Schule von vielen anderen Schulen unterscheidet, ist, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler vom ersten Tag an dabei unterstützt, heraus zufinden, worin sie wirklich gut sind. Die Einführung des Maturagegenstands „Kommunikation und Sozialkompetenz“ ist ein zentrales Element für den Erfolg dieser Schule. Leider ist sie, trotz aller Bemühungen von uns Gründern, noch immer die einzige derartige Schule in Österreich. Dabei hätten alle Schüler und Schülerinnen ein Recht auf einen Gegenstand „Kommunikation und Sozialkompetenz“, einen persönlichen Coach, auf selbstbestimmtes Lernen in Lern-Labs, auf individuelle Lernziele zusätzlich zum Zeugnis und vor allem auf exzellente Pädagoginnen und Päda gogen. All das ließe sich auch im Regel schulsystem umsetzen. Was bräuchte es, um unser Bildungs system effektiver zu gestalten? Wel che Prioritäten würden Sie setzen?

Salcher: Als Voraussetzung dafür, damit Österreich in der Champions League der Bildungsnationen mitspielt, benötigen wir einen Grundkonsens, dass Bildung eine nationale Top-Priorität erhält. Das bedeutet: Die Elementarpädagogik wird ausgebaut, weiter professionalisiert und konsequent als erste und fundamentale Stufe in das Bildungssystem integriert. Wenn wir heute die besten Kindergärten der Welt schaffen, dann werden wir in

von der Abschaffung der 50-Minuten Stunde, Auflösung der starren Klassen strukturen. 10 Prozent der Unterrichts zeit sollten von Personen von außerhalb des Schulsystems gestaltet werden. Wie müsste man da die Schulen strukturell verändern? Salcher: Die wichtige strukturelle Ver änderung wäre die flächendeckende Umsetzung der verschränkten Ganzta gesschule. Die meisten innovativen Schu len sind echte Ganztagsschulen: Die teu ersten Privatschulen in Großbritannien und den USA sind genauso wie fast alle erfolgreichen Brennpunktschulen ech te verschränkte Ganztagesschulen. Die Vorteile sind eindeutig: Die Zeiteintei lung zwischen Lernbüros, Lehrvortrag, echtem Projektunterricht, Sport, Rei sen und Exkursionen, selbstbestimmtem Lernen sowie Erholungs-, Essens- und Reflexionszeiten wird vom Lehrkräfte team in Absprache mit der Schulleitung autonom festgelegt. Dadurch wird indivi duelles Eingehen auf jede Schülerin und jeden Schüler strukturell überhaupt erst möglich. Die Hausaufgaben fallen zum Großteil weg. Für Schüler, Lehrkräfte und ganz wichtig die Eltern endet die Schule im Normalfall zwischen 15 und 16 Uhr.

Kanada weist die besten Leistungen von Kindern mit Migrationshintergrund auf. Das integrative Schulsystem setzt auf leistungsorientierte Gesamt- schulen und Ganztagsstrukturen.

Wenn wir heute die besten Kindergär ten der Welt schaffen, dann werden wir in zehn Jahren eines der besten Bildungssysteme der Welt haben.

Andreas Salcher Bestsellerautor und Bildungsexperte

zehn Jahren eines der besten Bildungs systeme der Welt haben. Das Schulauto nomiepaket 2017 war ein Schritt in die richtige Richtung, es ist nur heute, sieben Jahre danach, den meisten Schulen nicht bekannt, geschweige denn umgesetzt, obwohl es den Schulen viel pädagogi sche Autonomie ermöglichen würde,

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