CHEFINFO 07_2024 September
Milliarden Euro gibt Österreich jähr lich für Bildung aus. 11,52
COVERSTORY
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Vor 250 Jahren führte Maria Theresia die Schulpflicht ein. Seitdem besteht ein System, das ständig im Wandel ist und ebenso ständig im Kreuz- feuer der Kritik steht.
wir als kleines Land haben. Dafür ist ein neues Set-up notwendig. Wir müs sen anfangen, starre Systeme durch ler nende, lebendige Systeme zu ersetzen.“ Skepsis gegenüber Hochbegabung Jene Starre, welche die Sir Karl Pop per Schule durchbricht. Sie fokussiert sich auf die Talente von jungen Men schen und auf Begabungen. „Der gene tische Unterschied zwischen Menschen beträgt 0,1 bis maximal 0,5 Prozent. Der Nobelpreisträger unterscheidet sich bei den Leistungsvoraussetzungen gene tisch vom Sonderschüler daher nur im Promillebereich.“ Ein scheinbar kleiner Unterschied mit großer Auswirkung, „weil ungemein viel Information in der DNA gespeichert ist. Die ungleichen genetischen Veranlagungen zeigen sich aber nur dann in Leistungsunterschie den, wenn sie auch genutzt werden, vor allem durch individuelle Anstrengung und durch das soziale Umfeld zum Bei spiel fördernder Eltern und motivieren der Lehrer.“ Salcher sieht in Österreich eine gewisse Skepsis gegenüber kogni tiver Hochbegabung. Während sportli che und künstlerische Veranlagungen in Fußballakademien, Skigymnasien oder Musikschulen gefördert sind, hal ten sich hartnäckige Vorurteile gegen kognitiv Hochbegabte, etwa wie, dass sich Hochbegabte im Leben ohnehin durchsetzen würden. „Das ist wissen Den Grundstein für eine gute Bildungs karriere sieht der 63-Jährige in der Ele mentarpädagogik: „Wenn wir heute die besten Kindergärten der Welt schaffen, dann werden wir in zehn Jahren eines der besten Bildungssysteme der Welt haben“, verrät er im Interview. Salcher sieht darin den großen Vorsprung der führenden Bildungsnationen. „Sie bil den ihre Elementarpädagogen aka- Ô schaftlich eindeutig falsch.“ Elementare Pädagogik
– nur mehr Freude“ oder „Der talen tierte Schüler und seine ewigen Fein de“. Er kennt die Stolpersteine die gro ßen Reformen im Weg stehen: „Mit wenigen Ausnahmen hat sich in den meisten OECD-Ländern gezeigt, wie schwierig es ist, nationale Schulsyste me trotz wachsender Herausforderun gen grundlegend zu reformieren, um den veränderten Rahmenbedingun gen des 21. Jahrhunderts gerecht zu werden.“ Salcher sieht auch in Öster reich hervorragende Schulen, die aber „weitgehend isoliert bleiben“, den noch reicht ein Blick über den Tel lerrand, um besonderes gute Bil dungssysteme zu identifizieren. Etwa im viel zitierten „Pisa-Serienmeister“ Finnland: „Finnland hat das ,pheno menon based learning‘ eingeführt, um aus der ,Stoff-Falle‘ herauszukommen und stärker Skills-orientiert zu arbei ten. Das bekannt innovative finnische
Schulsystem beschreitet damit einen Weg, indem es die Schulfächer zwar nicht abgeschafft hat, aber die Gren zen zwischen den Gebieten großflä chiger gestaltet wurden.“ Im Gegensatz zu Österreich genießt Lehrpersonal höchstes gesellschaftliches Ansehen. Der Lehrerjob ist begehrt und die Fin nen können sich die Besten aus den zahlreichen Bewerbern aussuchen. Für Salcher kein Zufall: „Funktioniert hat die Skalierung von Innovationen in Bil dungssystemen vor allem dann, wenn diese massiv von der Regierung initi iert und durchgesetzt wurde.“ Auch in Österreich sieht der Bildungsexperte große Potenziale, „die es gilt, zukunfts freudig und innovativ zu nutzen. Bil dung ist dafür der größte Hebel, den
Die Esten sind die Besten: 5 Prozent leistungsschwache Schüler stehen 20 Prozent leistungsstarken Lernenden gegenüber, dabei ist das System um 30 Prozent günstiger als der OECD-Schnitt.
dergarten und es gibt flächendeckend echte Ganztagesschulen mit intensiver individueller Förderung. Nur 5 Pro zent der estnischen Lernenden fallen in die Kategorie der leistungsschwa chen Schülerinnen und Schüler. Dem stehen in Estland mehr als 20 Prozent leistungsstarke Lernende gegenüber.“ Mittelmaß aller Dinge? Salcher ist Mitbegründer der „Sir Karl Popper Schule“ für besonders begabte Kinder und initiierte 2004 die „Wald zell Meetings“ im Stift Melk, an denen sieben Nobelpreisträger und der Dalai Lama teilgenommen haben. Seit 2008 engagiert sich Andreas Salcher mit sei nem „CURRICULUM PROJECT“ für bessere Schulen. Er gilt als echter Ken ner und Vordenker des Bildungssys tems und schrieb neun Nummer-eins Bestseller, darunter „Nie mehr Schule
sia die Schulpflicht eingeführt. Damals saßen bis zu 100 Schüler in einer Klas se, mussten kilometerlange Schulwege auf sich nehmen und wurden von Leh rern unterrichtet, die mit ihrem Brot job kaum über die Runden kamen. Es hat sich also vieles verändert und doch scheint das System mit dem großen Wandel in der Gesellschaft nicht mehr mitzukommen. Wir haben eines der teuersten Bildungssysteme der Welt, bleiben aber beim Output unter dem Schnitt. Estland hingegen hat sich bei den Leistungen an die OECD-Spitze katapultiert, und das, obwohl das Land ein um ein Drittel geringeres Bildungs budget im OECD-Schnitt hat. Andreas Salcher ist Unternehmensberater, Best sellerautor und kritischer Vordenker in Bildungsthemen. Er weiß warum: „Fast alle Kinder in Estland besuchen ab dem dritten Lebensjahr den Kin
Ein alter Witz beschreibt das Grund dilemma der Kritik am Bildungssys tem: „Was tut man mit einem Men schen, der 100 Jahre lang im Eis verschollen war und wieder aufge taut ist, um ihn vorsichtig an die neu en Zeiten zu gewöhnen?“ „Man setzt ihn in eine Schule, denn da hat sich nur sehr wenig verändert“. Vor exakt 250 Jahren hat Kaiserin Maria There
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