Weekend Magazin Wien 2025 KW45

Tiger King. Die Doku spielt in der bizarren Welt von „Joe Exotic“ und seinem Raubtierzoo. Hat er ein Mordkomplott ge- schmiedet? Das Urteil am Staffelende: 22 Jahre Haft.

STORYS

Ermittler? Grauen und Er kenntnis wechseln sich ab. True Crime, so Perchtold-Ste fan, ist eine Form der „kreati ven Emotionsregulation“ – ein mentales Training, um Bedrohung und Kontrolle im Gleichgewicht zu halten. Killer unter uns Schon die frühen Gerichts reportagen des 19. Jahrhun derts haben gezeigt, wie stark Menschen auf reale Verbre chen reagieren. Doch erst das Fernsehen machte den Ner venkitzel massentauglich. Mit „Aktenzeichen XY … ungelöst“ entstand 1967 das erste True-Crime-Format, bei dem die Polizei das Publi kum um Hilfe bat. Millionen saßen vor den Bildschirmen, verfolgten 1977 entsetzt den „Mord am Akazienweg“ (Mutter und Tochter, massa kriert) – und erlebten 2015 mit, wie ein später überführ ter Mörder live im XY-Studio seine von ihm getötete Ver lobte betrauerte! Im Namen der Hörer Heute spielt sich True Crime auch auf Streamingplattfor men und in Podcasts ab. Einer der ersten und gleichzeitig er folgreichsten überhaupt, „Se

SHORT TALK

LEGENDÄRE NETFLIX-DOKUS

Making A Murderer. 20 Folgen, gefilmt über 10 Jahre. Steven Avery wird nach 18 Jahren Haft wegen Vergewal tigung als unschuldig entlassen. Nur um dann einen Mord zu begehen …?

pektive intimer – die Gren zen zwischen Journalismus, Unterhaltung und Voyeuris mus verschwimmen. Kritiker warnen vor Sensationslust, einer Romantisierung von Tätern und fehlender Rück sicht auf Opfer und deren Angehörige. Und: Besonders spektakuläre Fälle wandern von Podcast zu Podcast und von dort oftmals auch noch zu Netflix oder Apple+. Bei spiel: der Fall der 2021 getö teten Influencerin Gabby Pe tito. Das Leid der Hinterblie benen wird gleich mehrfach ausgeschlachtet. Oder auch ins Lächerliche gezogen, mit Podcastnamen wie „Mord auf Ex“. Wer echte Verbrechen erzählt, sollte Verantwortung übernehmen – nicht nur für die Reichweite. V

rial“ aus den USA, zeigt einen weiteren Grund für die Faszi nation True Crime: Angesto ßen von den Fragen, die die erste Staffel (2014) in einem Mordfall aufwirft, wird der Prozess neu aufgerollt. Und endet mit einem Freispruch für den zu lebenslang Verur teilten. Als Hörer hat man das (irrationale) Gefühl, am Sieg der Gerechtigkeit beteiligt ge wesen zu sein. Kritische Stimmen Auch Gerichtsreporter wei sen in ihrer Berichterstattung immer wieder auf Ungereimt heiten bei Ermittlungen hin. Doch während es sich, jeden falls in seriösen Medien, um faktenbasierten Journalismus handelt, ist der True Crime-­ Tonfall persönlicher, die Pers

Dr. Corinna Perchtold Psychologin, Uni Graz

Weite Pupillen

Hat True-Crime-Konsum länger fristig Effekte auf die Psyche? Unsere Forschung dazu steht noch am Anfang. Dabei setzen wir nicht nur auf Befragungen, sondern schauen uns auch Kör per, Gehirn und Verhalten der Studienteilnehmer an. Beispiel: Im Experiment reagierten Pro banden auf True Crime mit einer Pupillenerweiterung, was auf Erregung hinweist. Gleichzeitig wurde das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert. Das deutet auf eine Kopplung von Angst und Lust hin. Warum ist man True-Crime-Fan? Das am meisten genannte Motiv ist „das Unverständliche verste hen wollen“, also die Frage nach dem Warum einer Tat. Es geht nicht um Verständnis mit Tätern, sondern um das Bedürf nis, menschliche Abgründe zu verstehen. Weit oben ist auch die Freude an Mystery, also sich selbst in die Rolle eines Ermitt lers zu begeben. Welchem Podcast folgen Sie? „Verurteilt – der Gerichtspodcast“ (ARD) ist mein großer Favorit.

ZAHLEN

n 70 Prozent … der Hörer des österreichischen Podcasts „Dunkle Spuren“ sind Frauen – ein Muster, das sich in vielen Formaten wiederholt. n 7 Stunden … pro Woche verbringen weibliche Stamm hörerinnen durchschnittlich mit wahren Verbrechen, Männer etwa vier Stunden. n 31 Prozent … der Österreicher hören mindestens ein mal im Monat Podcasts, Tendenz steigend. True Crime zählt dabei zu den beliebtesten Genres. n 75 Prozent … der Hörer geben an, die Psychologie hinter den Taten verstehen zu wollen. n 42 Prozent … von Befragten in den USA sagten, dass die Beschäftigung mit Verbrechen ihren Glauben an die Menschheit erschüttert hätten.*

FOTOS: NETFLIX, C. PERCHTOLD-STEFAN/ OLE SPARTA, WIENFÜNFZEHN * Quellen: Kurier, Uni Graz, Supersummary

True Crime anno 1884: Der Wiener Serienmörder Hugo Schenk auf dem Weg zu seiner Hinrichtung

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