CHEFINFO LIVING Herbst 2023

ARCHITEKTUR&IMMOBILIEN

Digitale Modelle helfen, diese Komplexität abzubilden und eine Chancen- und Risiko abwägung zu erstellen. Forschungsprojekte simulieren Verkehr, Wohn- und Einkaufssitu ationen und das städtische Leben insgesamt. Sims 4.0 sozusagen, wo der Gestaltungsbeirat künftige Projekte bald auch mit Virtual-Reali ty-Brillen begutachten kann. Diese Entwick lung zeige auch, dass eine Stadt heute eine aktivere Rolle als früher einnehmen muss, um ans Ziel zu gelangen. Stadtentwicklung ist für Kleboth vor allem ein Lernprozess. Die seit Jahrzehnten diskutierte Stadtbahn sei eine Riesenchance. Ein paar Kritikpunk te kann sich Kleboth nicht verkneifen. „Es ist großartig, was die Johannes Kepler Univer sität in den vergangenen zehn Jahren aus sich gemacht hat. Aber es wäre natürlich noch besser, wenn das nicht am Stadtrand, sondern fünf Kilometer weiter im Zentrum passiert wäre.“ Kleboth spricht den beschlossenen Bau der neuen Digitaluniversität auf der grünen Wiese am äußersten Stadtrand im Nordosten von Linz an. Man hätte den Uni-Neubau auch fünf Kilometer weiter im Zentrum, etwa in der digitalen Meile im Hafengebiet, platzieren und so aktiv Stadtentwicklung betreiben kön nen. „Das wäre eindeutig der bessere Stand ort gewesen.“ n

Ein Hotspot der Stadtentwicklung in Linz: Das Hafengebiet erhält mit dem „Projekt Neuland“ ein neues Gesicht.

DAS AUTO VERLIERT AN BEDEUTUNG Nach seinem Studium war Kleboth als Assis tent und Forschungsbeauftragter am Institut für Städtebau und Entwerfen an der Univer sität Innsbruck tätig. Damals kam sein Haupt professor auf ihn zu und fragte ihn, warum er sein Talent mit Städtebau vergeude, „denn der einzige Platz, der heute noch seine Berech tigung hat, ist der Parkplatz“. Das war vor 30 Jahren. Inzwischen dreht sich der Wind. Vorbilder sind Städte wie Paris oder Barce lona. Die katalanische Metropole hat die inter national viel beachteten „Superblocks“ als ver kehrsberuhigte Zonen mit mehr Grün und weniger Parkflächen geschaffen. Dieses Kon zept wird auch beispielsweise in Wien mit den „Supergrätzln“ nachgeahmt. Für Kleboth ver liert das Auto seine zentrale Bedeutung. Es wird nach wie vor genutzt werden, aber nicht mehr in jedem Lebensmoment: „Es sollte nur noch dort gebaut werden, wo es einen guten öffentlichen Verkehr gibt, sodass man nicht auf das Auto angewiesen ist.“ Der Stadtpla ner spricht von einem Paradigmenwechsel. „Wir errichten ein größeres Wohnhaus in der Stadt – auf Wunsch der Entwickler ohne Park plätze. Das wäre früher undenkbar gewesen.“ Das Konzept der autogerechten Stadt ist mit Le Corbusiers Werk „Ville radieuse“ ziemlich genau hundert Jahre alt. Jetzt sei es an der Zeit, sich davon zu verabschieden. ZUKUNFT DER STADTENTWICKLUNG Der Traum jedes Stadtentwicklers ist der gro ße Masterplan am Reißbrett, der dann wie bei der australischen Hauptstadt Canberra auf

„LINZ HAT DIE CHANCE, SICH KOMPLETT NEU AUSZURICHTEN UND DIE MODERNSTE STADT ÖSTERREICHS ZU WERDEN.“

Andreas Kleboth Architekt und Stadtentwickler

der grünen Wiese oder wie in der Gründer zeit in Wien mit der Abrissbirne in die Reali tät umgesetzt wird. Berühmte Stadtplaner wie Georges-Eugène Haussmann (1809 – 1891) wollten Ordnung schaffen und prägen das Stadtbild von Paris bis heute. „Aber mit wel cher Brutalität damals Straßen in die Stadt hineingeschlagen wurden, entspricht nicht mehr unserer Zeit. Zum Glück muss man sagen. Große Stadtideen sind immer auto ritär“, sagt Kleboth. Er hingegen findet den Bestand in einer Stadt sympathisch. Hier geht es nicht um die große Geste, sondern um einen Setzkasten aus vielen verschiedenen Dingen, der Vielfalt erzeugt. Die Zukunft der Stadtentwicklung liegt auch in der Simulation, im digitalen Zwilling. Für Kleboth ist Stadt entwicklung nicht kompliziert, aber komplex.

Beispiel für gelungene Stadtentwicklung: das Superblock-Projekt in Barcelona.

FOTOS: GUNNAR KNECHTEL / LAIF / PICTUREDESK.COM, LINZ AG / FOTOKERSCHI, GUNNAR KNECHTEL / LAIF / PICTUREDESK.COM

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