CHEFINFO 07_2024 September

59 Millionen Tonnen Lebensmittel werden in der EU jährlich verschwendet.

WIRTSCHAFT

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D ie krumme Gurke, die am Feld ihr Ende findet. Das Semmerl, das seit den Morgenstunden im Supermarkt liegt und letztlich ent sorgt wird. Und das Joghurt, das in den Untiefen des Kühlschranks hinter neuen Produkten vergessen wurde. Laut einem WWF-Report gehen etwa 40 Prozent der weltweit produzierten Nahrungsmit tel entlang der Wertschöpfungskette ver loren. In Österreich landen laut Green peace jährlich mindestens 700.000 Tonnen Lebensmittel im Müll oder ver rotten am Feld. WWF geht sogar von einer Million Tonnen aus. Ebenfalls ver heerend ist die unnötige Überproduktion für das Klima. Laut WWF ist die Lebens mittelverschwendung für rund 10 Prozent des globalen Treibhausgasausstoßes ver antwortlich. Das ist knapp doppelt so viel an Emissionen, wie der Autoverkehr der EU und der USA gemeinsam produziert. Es braucht einen Gegentrend. Glückli cherweise gibt es findige Unternehmen und Organisationen, die Lebensmittel ret ten. Und das entlang der gesamten Wert schöpfungskette. Level 1: Am Feld Rund ein Drittel der verschwendeten Lebensmittel findet sich im Müll der Landwirtschaft und der Produzenten. Dafür gibt es zahlreiche Gründe. Die

dung im Handel konzentrieren und die Landwirtschaft weitgehend ausblenden. „Mehr als 288.000 Tonnen Lebensmittel werden am Beginn der Wertschöpfungs kette entsorgt“, erklärt sie, „also mehr als dreimal so viel wie im Handel mit knapp 89.000 Tonnen.“ Level 2: Im Handel Im Handel und in der Gastronomie fällt die Menge an entsorgten Nahrungsmit teln also bedeutend geringer aus als am Feld. Dieses Potenzial wird dafür umso

Darüber hinaus produzieren Bauern einen Überschuss, da sie gewisse Men gen im Voraus garantieren müssen. Fällt die Ernte sehr gut aus, bleiben Früchte teilweise auf dem Feld zurück. Man che Landwirte vertreiben ihre Produk te, die nicht der Norm entsprechen, direkt im Hofladen oder verschenken sie. Ein Linzer Start-up, das Obst und Gemüse vom Feld rettet, ist afreshed.

Sogenannte „Retterbo xen“ werden direkt zu den Kunden geliefert. Am Schwendermarkt in Wien wiederum wurde 2016 Unver schwendet von den Geschwistern Cornelia und Andreas Diesen reiter gegründet. Das Unternehmen verar

Seit unserer Gründung haben wir bereits beachtliche 350.000 Kilo Obst und Gemüse aus der Landwirtschaft gerettet.

Cornelia Diesenreiter Gründerin Unverschwendet

beitet gerettetes Obst und Gemüse wei ter. „Seit unserer Gründung haben wir bereits beachtliche 350.000 Kilo Obst und Gemüse aus der Landwirtschaft gerettet und ihnen eine zweite Chance als köstliche Feinkost gegeben“, berich tet Cornelia Diesenreiter. Es ist jedoch noch einiges an Potenzial vorhanden: „Es wurden uns bereits 15 Millionen Kilo an

intensiver genutzt. Vor 25 Jahren wurde Österreichs erster Sozialmarkt in Linz gegründet. Personen mit geringem Ein kommen können hier ihren Einkauf erle digen. Dabei werden die Produkte dem Sozialmarkt gratis vom Lebensmittel handel überlassen. In rechtlichen Grau zonen bewegen sich die sogenannten „Dumpster Diver“. Sie tauchen in Müll tonnen und holen Weggeworfenes her aus. Die Reaktionen der Handelsketten sind sehr unterschiedlich. Seit einigen Jahren gibt es aber neben Sonderaktio nen und Spenden eine weitere Alter native, wie der Handel und auch die Gastronomie ihren Lebensmittelabfall reduzieren können: Too Good to Go. Das dänische Unternehmen kreierte eine App, in der Konsumenten zu güns tigen Preisen Produkte kaufen kön nen, die sonst im Abfall geendet wären. Die Händler stellen dazu ein „Überra schungssackerl“ zusammen und geben in der App eine Annonce auf. Für diesen Service verlangt Too Good To Go eine Provision vom Verkäufer. 2015 wechselte

2016 gründeten die Geschwister Cornelia und Andreas Diesenreiter Unverschwendet mit dem Ziel, Lebensmittelverschwendung am Feld zu reduzieren.

Level 3: Zu Hause Und damit kommen wir zu den größ ten Sündern: zu uns Konsumenten. Über 50 Prozent der verschwendeten Lebens mittel landen laut EU-Studie zu Hause im Müll. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler möchte die Lebensmittelver schwendung bis 2030 halbieren. Eine Social-Media-Kampagne, die im frühen Sommer angelaufen ist, richtete sich vor allem an junge Erwachsene. Denn gerade ihnen fehlt noch das Wissen um den richtigen Umgang mit Nahrungsmitteln. Auch Diesenreiter ist Bewusstseinsbil dung ein Anliegen. „Die bewusste Ausei nandersetzung mit dem eigenen Konsum und Wegwerfverhalten hat sich in vielen Bereichen schon etabliert“, resümiert sie über die letzten Jahre, „aber auch hier gibt es noch viel zu tun und aufzuklären.“ n

retter-Apps wie Too Good to Go ins Gespräch. Wobei Lebensmittelanbie ter erklärten, dass sie nur Lebensmit tel via Too Good to Go anbieten, die ohnehin nicht gespendet werden wür den. Und auch Strasser-Müller hält dagegen: „Sozialmärkte und Tafeln leis ten seit Jahrzehnten wertvolle Arbeit, können jedoch aus hygienerechtlichen, logistischen oder personellen Gründen oft nicht alle überschüssigen Lebens mittel annehmen.“ Er sieht sein Unter nehmen als ergänzende Lösung. „Wobei die größte Konkurrenz nach wie vor die Mülltonne ist.“ Lebensmittelverschwen dung ist für ihn in wirtschaftlicher, sozi aler und ökologischer Hinsicht eine Her ausforderung, „die gleichzeitig Chancen für verschiedene Stakeholder und unter schiedliche Lösungsansätze bietet“.

das erste Sackerl den Besitzer. Heute ist man in 18 Ländern aktiv. Georg Strasser Müller, Country Director Too Good To Go Schweiz & Österreich, spricht über die Wirkung der App: „Too Good To Go zählt 100 Millionen registrierte Nut zer, die zusammen mehr als 350 Millio nen Mahlzeiten vor der Verschwendung bewahrt haben.“ Überraschungssackerl oder Sozialmarkt In den letzten Jahren kamen von den Sozialmärkten jedoch immer wieder alarmierende Botschaften. Denn vor allem in den Städten steigt die Nach frage, die Warenmenge bleibt aber oft mals gleich. Manche Betreiber wohl tätiger Organisationen brachten in der Vergangenheit auch Lebensmittel

Obst und Gemüse ange boten.“ Diesenreiter, die aus Steyr kommt, ist es gelungen, ein funktionie rendes Geschäftsmodell aufzubauen und über die letzten Jahre deutlich zu wachsen. Aus vermeint lich ungewollter Ware stellt man hochwertige Produkte her. Durch den

In Österreich kooperieren wir bereits mit den meisten großen Supermärkten. Georg Strasser-Müller Country Director Too Good To Go Schweiz & Österreich

wirtschaftlichen Erfolg stellt man auch sicher, in Zukunft weiterhin Lebensmit tel retten zu können. Ein Wunsch von Diesenreiter ist, dass sich der Fokus der Politik und Medien etwas verlagert. Der zeit würde man sich sehr auf Verschwen

bekanntesten, die auch in den Medien gerne breitgetreten werden, sind Ausse hen, Größe und Form der Früchte. Im modernen Handel ist vieles optimiert und Kunden haben gewisse, teils irra tionale Ansprüche an die Lebensmittel.

FOTOS: ROBERTO MACCARIELLO, UNVERSCHWENDET FOTO: EVI HUBER

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