CHEFINFO LIVING Herbst 2023

ARCHITEKTUR&IMMOBILIEN

STADT-DENKER URBANISTIK. Andreas Kleboth beschäftigt sich seit drei Jahrzehnten mit Stadtentwicklung. Was derzeit passiere, sei ein Paradigmenwechsel. Nicht nur in Linz, sondern auch in anderen europäischen Metropolen. A ndreas Kleboths Wirkungsstätte ist symbolträchtig. Sie umfasst das gesamte oberste Stockwerk im Bau 2 in der Tabakfabrik Linz, die wie kaum ein anderer Ort für den Transformationsprozess der Stahlstadt steht. Ein Auto besitzt er längst keines mehr. Zur Arbeit und zu Kundenterminen fährt er mit öffentlichen Verkehrsmitteln wicklung plant man nur so viel wie nötig, in der Architektur so viel wie möglich“, präzi siert der 55-jährige „Stadt-Erotiker“. Text: Klaus Schobesberger

Beispiele sind das Hafenviertel, das Nestlé Areal oder die Post City. Auf dem Gelände des ehemaligen Post-Verteilerzentrums neben dem Linzer Hauptbahnhof sollen bis 2027 elf Türme entstehen – eine Mischung aus Woh nen, Büro, Gewerbe und Handel und mit viel Grünflächen mittendrin. „Linz hat die Chance, sich komplett neu auszurichten und die modernste Stadt Österreichs zu werden.“ Der Stadtentwickler spricht den Softwarebe reich an, der sich neben der bereits beste henden Industrie etabliert und eine Dyna mik schafft, die Linz international eine neue Sichtbarkeit gibt. Für Urbanisten wie Kleboth geht es aber um mehr. Für sie ist die Stadt eine Bühne, in der das Leben der Zukunft statt findet. „Die Kernstadt muss so attraktiv und begehrenswert sein, dass man auf die Idee, ein Einfamilienhaus am Stadtrand zu bauen, gar nicht mehr kommt.“ Dabei geht es um wei che Stadtfaktoren, die mit einem Freizeit- und Kulturangebot Stimmung und Atmosphä re schaffen, um belebte Erdgeschoßzonen, die für Sozialkontakte und Glücksmomente sorgen. Aber es geht auch um klimagerechtes Wohnen, um nicht mehr zu verantwortende Bodenversiegelung und um die Frage, wie die Stadt insgesamt lebenswerter und menschen freundlicher werden kann. Für Kleboth heißt das auch: Abschied von der „autogerechten Stadt“, die seit der Nachkriegszeit prägendes Element der Stadtentwicklung ist. Ô

„ARCHITEKTUR IST FÜR MICH EINE LEIDENSCHAFT, ABER DIE STADTENTWICK LUNG IST EINE LIEBE.“

und seinem Faltrad. „Ich würde sagen, das Faltrad hat mein Leben mindestens so verän dert wie das Mobiltelefon“, sagt Kleboth, der seit mehr als 25 Jahren mit seinem Büropart ner Gerhard Dollnig und dem Team von „Kle both und Dollnig ZT“ Architektur- und Stadt entwicklungsprojekte in Österreich und im angrenzenden Ausland verwirklicht. „Archi tektur ist für mich eine Leidenschaft, aber die Stadtentwicklung ist eine Liebe“, erklärt der gebürtige Innsbrucker im Gespräch mit CHEFINFO. Dabei sind das zwei sehr ver schiedene Disziplinen. Architektur hat einen Auftraggeber, eine präzise Planung und einen Fertigstellungszeitpunkt. Bei der Stadtent wicklung gibt es ein öffentliches Interesse, aber keine Auftraggeber. Die Stadt definiert die Rahmenbedingungen, gibt den Weg und die Ziele vor – und viele Player aus der Gesell schaft fügen dann ihre Teile in dieses Konzept der Stadt ein. „Aber fertig ist man eigentlich nie. Oder anders formuliert: In der Stadtent

Andreas Kleboth Architekt und Stadtentwickler

MENSCHENFREUNDLICH STATT AUTOGERECHT

Kleboths Name taucht in vielen Gremien auf. Er ist Beiratsvorsitzender der Seestadt Aspern in Wien, eines der größten Stadtbau projekte Europas, und Mitglied der städtebau lichen Kommission in Linz. Das 14-köpfige Team beschäftigt sich mit Entwicklungsflä chen, die Potenzial für neue Stadtteile haben.

FOTO: HERMANN WAKOLBINGER

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